Automobilindustrie: Viele wollen ein Stück vom Kuchen

Über eine lange Periode gab es für die Automobilindustrie vorwiegend eine Richtung, und die führte nach oben. Superlativen, so weit das Auge reicht: mehr Autos entwickelt, gebaut und verkauft als im Vorjahr – und das über viele Jahre und auf der ganzen Welt. Lange vorbei waren die Bedrohungen der Ölkrise Anfang der 1970er Jahre: laufend neue Explorationserfolge statt autofreier Sonntage. Billigkonkurrenz aus Japan/Asien? Weit gefehlt. Auch die erst jüngst erstarkten Koreaner verlangen ähnliche Preise für ähnliche Autos. Dazwischen kam um 2008 die Bankenkrise, deren offene Flanke die Politik jedenfalls zum Teil schließen konnte – via Abwrackprämie.

Etwa um diese Zeit kam zum wiederholten Male die Diskussion um den richtigen Automobilantrieb hoch. Einer der Protagonisten war der Internetunternehmer Elon Musk. Musk hat sich nicht der geltenden Meinung angeschlossen, dass elektrisches Fahren wegen mangelnder Reichweite noch kein Potenzial hat. Dass es ihm ausgerechnet auf Basis von Laptop-Zellen gelang, ein Premiumauto mit beachtlicher Reichweite auf die Räder zu stellen, füllte die Gazetten. Er stimulierte dadurch die Diskussion um den elektrischen Antrieb, und plötzlich waren auch potenziell neue Hersteller am Start, etwa Fisker. Auch die OEMs wurden aktiv. Am weitesten ging vielleicht BMW: Der Hersteller stellte eine ganz eigene i-Fahrzeugfamilie mit Kohlefaserkarosserie auf die Räder.
Japanische und koreanische Konzerne rücken in letzter Zeit verstärkt die Brennstoffzelle in den Fokus ihrer Marketing-Kommunikation, wie auch die vergangene Tokio Motorshow gezeigt hat. Sie wird als Lösung für noch mangelnde Batteriereichweite positioniert.

Mitten in der Diskussion um den Automobilantrieb der Zukunft eröffneten vorwiegend die großen Internetkonzerne Google, Apple & Co. eine Break-out Session rund um das Autonome Fahren. Zunächst klang das wie eine Antwort auf eine nicht gestellte Frage, und erst nach und nach fiel der Schleier der Interessenlage. Hände und Aufmerksamkeit der Fahrer freizubekommen, ist wohl der Haupttreiber für die Autonomie aus Sicht der Internetkonzerne. Gerne wollen sie die Informationslieferanten für den von Fahraufgaben befreiten Automobilisten sein. Das Auto wäre demnach zu verstehen als rasender Internetknoten. Daimler-Chef Zetsche spricht denn auch von einem „3rd Space“, also – nach Heim und Arbeitsstelle – einem weiteren Ort, an dem der Mensch jeden Tag eine nennenswerte Zeit präsent ist.

Die großen Informationskonzerne lassen keinen Zweifel daran, dass sie an den Schaltstellen des Datenein- und -ausgangs zum Auto Platz nehmen wollen. Nicht so klar ist, ob man selbst Autos bauen wird, vor allem mit Blick auf das signifikant steigende Risiko, „autonome Fahrroboter“ in den Verkehr zu bringen. Das Geschäft der Internetriesen ist in der Regel eher gefahr- und risikoarm, niederkomplex und hochprofitabel. Das wären allerdings in diesem Fall nicht die typischen Prämissen. Und so bleibt abzuwarten, wer am Ende wie tief einsteigt.

Ein Teil der Automobil-OEMs sieht das autonome Fahren als Chance und Risiko gleichermaßen. Sich als Kompetenzträger im Sinne eines besseren „Produkts“ weit vorne im Markt zu platzieren, ist eine Chance. Das Risiko, nicht mitzuspielen, wird insbesondere in der Gefährdung der eigenen Marktposition gesehen, wenn plötzlich marktfremde Player die Deutungshoheit über das Automobil übernehmen wollen. Im nichtautonomen Fahrzeug wird das Human Machine Interface, also die Art und Weise, wie Mensch und Maschine zusammenarbeiten, als ein wesentlicher Differenzierungsfaktor von Fabrikat zu Fabrikat gesehen. Welche Unterscheidungsmöglichkeiten die Autonomie bietet, ist freilich noch nicht klar. Jedenfalls wollen die OEM nicht die Kompetenz der Fahrzeugführung verlieren. Autobranchenintern ist das Thema „Autonomes Fahren“ einerseits hochwillkommen, bietet es doch eine Fülle an Marketingstoff und Differenzierungsmöglichkeiten. Andererseits bedeutet es zusätzliche Komplexität und Aufwand, besonders in den Entwicklungsbereichen.

Druck von vielen Seiten

Emissionsseitig baut sich weltweit Druck auf, vor allem von politischer und kommunaler Seite. Nicht nur, dass sich die deutsche Kanzlerin eine Million E-Fahrzeuge bis 2020 wünscht, auch der chinesische Staat macht Druck angesichts smoggeplagter Megacitys. Zunächst US-amerikanische und mittlerweile auch der europäische Gesetzgeber machen sich auf den Weg, die Emissionen von fahrenden Auto selbst zu messen. Auch die Diskussion um neue Testzyklen hat eher legislativ verschärfende Tendenz.
Mitten hinein in diese Melange platzt der Abgasskandal des größten deutschen Autokonzerns auf seinem Weg zum Weltmarktführer. Medien spekulieren darüber, was die Ursache gewesen sein könnte. Es wird unter anderem gemutmaßt, dass die Erfüllung der steigenden Abgasanforderungen eine immer schwerer zu lösende Gleichung für die Automobilhersteller ist.
Noch nie ist das Auto so fundamental in seinen Bestandteilen hinterfragt worden wie gerade jetzt – mit der gleichzeitigen Fragestellung, was das Fahrzeug der Zukunft antreibt und jetzt auch noch, wer es wohl lenken wird. Wie auch immer: die automobile Welt und speziell die eingesetzte Technik wird sich weiterentwickeln. Kenntnisse der Innovationsforschung legen nahe, dass, im Rückspiegel betrachtet, die heutigen Herausforderungen immer den Boden für die Durchbrüche von morgen bereitet haben.

ULRICH W. SCHIEFER

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