Collaboration der Kernbegriff des 21. Jahrhunderts

Grundlagen der IT-gestützten globalen Zusammenarbeit

Collaboration der Kernbegriff des 21. JahrhundertsInnovationsfreude, Flexibilität und die Möglichkeit, auf individuelle Anforderungen des Markts schnell reagieren zu können, sind heute entscheidende Kriterien für die Konkurrenzfähigkeit eines Unternehmens im globalen Wettbewerb. Dies in Verbindung mit der Notwendigkeit zu konsequenter Kostenkontrolle und striktem Qualitätsmanagement sichert eine führende Stellung im Markt. Diese Grundsätze erfolgreichen unternehmerischen Handelns erfordern die reibungslose Zusammenarbeit aller Unternehmensbereiche. Dies gilt insbesondere für die Produktentwicklung, da hier rund achtzig Prozent der späteren Kosten für das Produkt und seiner Herstellung festgelegt werden. Dabei beschränkt sich die Forderung nach Zusammenarbeit nicht nur auf Firmen interne Strukturen, sondern gewinnt insbesondere im Verbund mit externen Zulieferern sowie Entwicklungs- und Systempartnern herausragende Bedeutung. Nur so können Produktzyklen, Entwicklungs- und Produktionszeiten signifikant verkürzt, Prozesse und Produkte qualitativ optimiert sowie die Reaktions- und Innovationsfähigkeit eines Unternehmensverbunds gesteigert werden. Damit wird Collaboration, die Zusammenarbeit in einem interdisziplinär zusammengesetzten Team, zum Schlüssel für einen effizienten Entwicklungsprozess.
Die Situation heute. Zur Optimierung der Prozesse in der Produktentwicklung stehen nun eine ganze Reihe rechnergestützter Werkzeuge zur Verfügung. Mit diesen können nicht nur voneinander unabhängige Aufgaben bearbeitet werden, sondern auch Probleme im Zuge der Parallelisierung der Prozesse simultan von interdisziplinär zusammengesetzten Arbeitsgruppen gelöst werden. Zu Hilfe kommen hierbei einerseits die Verfügbarkeit weltweiter Netze, andererseits die generell zu verzeichnende Globalisierung. Durch die Ausnutzung von Zeitzonen lassen sich bei gegenseitiger Datenverfügbarkeit Aufgaben quasi rund um die Uhr bearbeiten. Sind die Spezialisten vor Ort nicht verfügbar, kann deren Wissen dennoch über das Netzwerk jederzeit eingebunden werden. Eine Reihe von interessanten Konzepten und Implementierungen unterstreichen die Bedeutung der Arbeit in verteilten Entwicklungsumgebungen. Während in den vergangenen Jahren in der Regel die einzelnen Software-Werkzeuge in Richtung hochspezialisierter Insellösungen mit mehr oder weniger eingeschränkter Prozessfähigkeit entwickelt wurden, blieb die Kommunikation weit hinter dem Notwendigen und technisch Machbaren zurück. Allenfalls kann eine durchgängige Prozess-Unterstützung durch die Kombinationen von Werkzeugen einer Produktfamilie oder eines Systemlieferanten sichergestellt werden; bei anderen Lösungen sind in der Regel sehr aufwändige Arbeiten zur Integration der einzelnen Komponenten und zur Anpassung an firmeninternen Strukturen und Abläufe notwendig.
Vorteile durch Collaboration. Für ein Unternehmen, das Collaboration „lebt“, ergeben sich greifbare und in Zahlen zu fassende Vorteile. So wird bei Fragen, Problemen oder Diskussionen im Rahmen des Produktentstehungsprozesses die Effektivität des gesamten Teams erhöht. Missverständnisse, Nacharbeit und Fehler lassen sich vermeiden. Damit können die Anzahl der Änderungszyklen beträchtlich verringert und der Durchlauf jedes einzelnen, noch verbleibenden Zyklus’ signifikant gestrafft werden. Ebenso kann die Anzahl der physikalischen Prototypen durch die kontinuierliche Zusammenarbeit reduziert werden. Wenn darüber hinaus die erfolgte Collaboration dokumentiert wird, werden Prozesse transparent und damit nachvollziehbar. Gleichzeitig können durch die Integration aller Beteiligten erfolgreiche Problemlösungen aus der Vergangenheit leichter wiederverwendet werden.
Diese gesteigerte Team-Effektivität verbessert die Fähigkeit zur Innovation und bringt eine günstigere Marktposition. Die gesteigerte Kreativität und Produktivität wird ebenfalls in Form von Produkt- und Prozessqualität deutlich. Als Folge einer solchen Form des Collaborations wird Wissen mit anderen geteilt, das Gemeinschaftsgefühl und die Motivation im Team gestärkt; gleichzeitig wird der nicht zu unterschätzende Faktor „Spass an der Arbeit“ beträchtlich erhöht.
CSCW als Basis für Collaboration. Grundsätzlich können folgende allgemeine Anforderungen an eine Umgebung für Collaboration formuliert werden:

  • Grundvoraussetzung ist eine gemeinsame Plattform für Collaboration
  • Der Zugriff auf die Collaboration-Umgebung sollte einfach erfolgen können
  • Die Benutzerschnittstelle muss einfach zu handhaben und konfigurierbar sein
  • Die Inhalte müssen verständlich und aus unterschiedlichen Sichten dargestellt sein
  • Der Verlauf einer Collaboration-Sitzung sollte protokolliert werden können
  • Verschiedene Zugriffe und Rechte müssen einstellbar sein.

In den letzten Jahren hat sich eine Disziplin oder Technik entwickelt, die sich mit diesem Thema beschäftigt: CSCW – Computer Supported Cooperative Work. CSCW beschäftigt sich auf der einen Seite mit der Motivation und dem dynamischen Verhalten innerhalb einer Gruppe sowie der Validierung der in der Gruppe erarbeiteten Ergebnisse. Auf der anderen Seite ist CSCW eine Disziplin, die sich mit der Beschreibung von Applikationen zur Gruppenarbeit und ihrem Einfluss auf die Gruppenarbeit selbst beschäftigt.
Basierend auf den Grundsätzen für CSCW-Werkzeuge lässt sich folgende Argumentationskette für eine erfolgreiche Collaboration formulieren:

  • Collaboration bedingt Kooperation. Kooperation umfasst das Vereinbaren von Arbeitssitzungen mit den systemseitigen (Vor)-Einstellungen sowie das Bereitstellen der benötigen Inhalte. Dies gilt insbesondere bei Arbeitsprozessen, die räumlich, zeitlich oder personell verteilt sind.
  • Kooperation erfordert Koordination. Dabei erfolgt die Koordination teilweise automatisch und im Hintergrund.
  • Koordination bedingt Kommunikation. Dabei können die verschiedensten Medien für die Kommunikation parallel eingesetzt werden.
  • Kommunikation ist damit die Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Collaboration.

Werkzeuge und Technologien. Nachfolgend werden die für den Einsatz in Entwicklung und Konstruktion gebräuchlichsten Werkzeuge und Technologien für die rechnerunterstützte Zusammenarbeit vorgestellt:

  • Multi- und Hypermedia. Zur effizienten Nutzung von CSCW-Applikationen ist es grundsätzlich erforderlich, verschiedenartige Informationsobjekte repräsentieren und verarbeiten zu können. Die Informationsobjekte sind dabei im wesentlichen Texte, Bilder, Sprache sowie Audio- und Video-Sequenzen. Eine Integration mehrerer Objekte führt zu einem so genannten Multimedia-Dokument, das durch Verbindungen mit anderen Dokumenten oder Objekten zu einem so genannten „Hypermedia“-Dokument wird.
  • E-Mail. E-Mail-Systeme erlauben den rechnerunterstützten, zeitlich versetzten (asynchronen) und strukturierten Austausch von Informationen zwischen zwei einander über die E-Mail-Adresse bekannten Personen.
  • Mailing-Listen und News Groups. Eng verwandt mit den E-Mail-Systemen sind Mailing-Listen und News Groups. Die Abgrenzung zur E-Mail liegt in der Übermittlung der Nachrichten an eine (teilweise unbekannte) Gruppe von Personen.
  • Portale. Unter einem Portal versteht man eine Internet-Adresse, an der eine oder mehrere zusammengehörige Dokumente zu finden sind. Eine besondere Form des Portals ist das so genannte vertikale Portal, das sich auf ein Themengebiet wie den Maschinenbau konzentriert und zu diesem Bereich umfassende Inhalte bereitstellt. Portale können als Plattform für den Informationsaustausch oder für den Handel ausgerichtet sein.
  • Workflow-Systeme. Mit Hilfe von Workflow-Systemen werden in der Regel Dokumente im Rahmen eines vordefinierten Prozesses durch eine Organisation weitergeleitet. Das Weiterleiten umfasst den zu verfolgenden Weg, das Bearbeiten von Dokumenten, das Ausfüllen von Formularen, die unterschiedlichen Funktionsrollen der Mitarbeiter sowie verschiedene Rechte-Strukturen. Dabei können Dokumente während des gesamten Prozesses im jeweiligen Status konvertiert, dupliziert und archiviert werden.
  • Gruppenkalender. Mit Hilfe von Gruppenkalendern können online beziehungsweise synchron Arbeitsverteilungen vorgenommen, Aufgaben im Rahmen des Projektmanagements durchgeführt sowie Tätigkeiten und Termine koordiniert werden. Gekoppelt werden die Gruppenkalender in der Regel mit Mail-Systemen, um Informationen über die vereinbarten Termine auszutauschen
  • Kollaborative Autoren-Systeme (Gruppen-Editoren). Hierunter versteht man Textverarbeitungssysteme, die das synchrone und asynchrone Verfassen von Texten durch mehrere Autoren unterstützen. Dabei werden Verantwortlichkeiten, Änderungen, Überarbeitungen, Notizen und ähnliches verwaltet.
  • Schwarze Bretter (Shared Whiteboards). Dieses Hilfsmittel erlaubt die gemeinsame Sicht und das gemeinsame Arbeiten auf einer für alle sichtbaren „Zeichenfläche“. Für die Gruppenarbeit zeichnet sich dieses Werkzeug durch seine informelle Kommunikationsform aus, auch wenn es eine strukturierte und angeleitete Vorgehensweise vom Grundsatz her unterstützt.
  • Decision-Support-Systeme. Mit Hilfe dieser Systeme wird die Bewertung von Alternativen zum Finden einer gemeinsamen Entscheidung in einer Gruppe unterstützt. Es stehen Techniken zur Verfügung, um Brainstormings oder Metaplan-Sitzungen durchzuführen, Ideen zu besprechen, Gewichtungen und Wahrscheinlichkeiten zu verteilen, Alternativen zu bewerten und Abstimmungen vorzunehmen.
  • Anwendungsverteilung (Application Sharing). Mit Hilfe von Programmen für verteilte Anwendungen ist es möglich, mehrere räumlich getrennte Personen über ihre Rechnerarbeitsplätze zu einer Konferenz zu verbinden. Dabei kann an einem Dokument gearbeitet werden, wobei nur eine der beteiligten Personen Änderungen an dem Dokument durchführen darf. Die Änderungen selbst werden an jedem Arbeitsplatz direkt sichtbar. Die Berechtigung zur Änderung kann unter den Beteiligten weitergeleitet werden. Ein klassischer Anwendungsfall dieser Technik ist heute die Softwareentwicklung.
  • Videokonferenz-Systeme. Videokonferenz-Systeme erlauben neben der Verteilung von Anwendungen den räumlich verteilten, aber zeitgleichen audio-visuellen Kontakt mehrerer Personen über ihren Rechnerarbeitsplatz. Hauptsächlich werden diese Systeme eingesetzt für verteilte Unterrichtseinheiten, zur Diagnose und operative Hilfen im Bereich der Medizintechnik oder mittlerweile auch im Bereich des Maschinenbaus zur besseren Planung von Wartungs- oder Reparaturarbeiten.
  • EDM/PDM-Systeme. EDM/PDM-Systeme stellen einige Funktionen zur Verfügung, die dem Konstrukteur bei der Kommunikation und Dokumentation von Informationen helfen. Das Motto dieser Systeme kann zusammengefasst werden zu der Forderung: Das richtige Dokument im richtigen Format zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Mittlerweile stellen auch ERP-Systeme einen gewissen Teil der zur Verwaltung der Konstruktionsdaten notwendigen Funktionalitäten ebenfalls zur Verfügung; allerdings fehlt in der Regel die für den Entwicklungsprozess notwendige Prozessflexibilität
  • CAx-Systeme. Die neue Generation der CAx-Systeme stellt teilweise Funktionen zur Unterstützung von Teamarbeit innerhalb einer homogenen Systemumgebung zur Verfügung. Dabei können innerhalb einer Sitzung andere Personen beziehungsweise CAx-Arbeitsplätze in diese Sitzung eingebunden werden. Gemeinsam kann auf die CAD-Basisfunktionen zugegriffen werden.
  • Collaboration-Systeme. Im Rahmen der Produktentwicklung ist es zwingend notwendig, alle relevanten Inhalte (Skizzen, 2D-Zeichnungen, 3D-Modelle und Baugruppen, Dokumentationen, Berechnungen, Simulationen etc.) in einer geeigneten Form für die Arbeit im Team zu repräsentieren. Das erfordert einerseits die Anbindung an die Systeme, mit deren Hilfe die Modelle verwaltet werden oder zumindest die Möglichkeit, Modelle zu importieren. Andererseits müssen applikationsspezifische Grundfunktionalitäten bereitgestellt werden. Da die Arbeit in verteilten Teams in der Regel auch die Arbeit in heterogenen Umgebungen bedeutet, müssen solche Anwendungen sehr flexibel ausgelegt sein. Sie sollten daher nicht auf ein Produkt oder die Produkt-Familie eines Softwareanbieters oder Systemhauses beschränkt sein.

Arten der Collaboration. An dieser Stelle ist es sinnvoll, verschiedene Ausprägungen von Collaboration in der Produktentwicklung zu beschreiben:

  • Collaboration mittels reines Viewing. Hierbei können Dokumente oder Modelle visualisiert werden. Eventuell können auch gleichzeitig unterschiedliche Ausschnitte oder Ansichten dargestellt werden. Mit der Verteilung von Darstellungen an andere Teammitglieder findet eine Art „impliziter“ Collaboration statt. Die Modelle können in der Regel in einem nativen oder neutralen Format vorliegen.
  • Collaboration über Viewing mit Mess-Funktionalitäten. Als Erweiterung zum Viewing kann hiermit auch ein Modell nachgemessen werden. Dies dient nicht nur der Kontrolle, sondern auch der Analyse von Freiräumen oder Passungen. Insbesondere für die Zusammenarbeit mit der Fertigung und Qualitätskontrolle ist diese Form der Collaboration geeignet.
  • Collaboration über Annotationen zu einem Modell. Zu einem Modell und seinen Bestandteilen können Notizen angebracht werden, um Diskussionsbeiträge, Aufgaben oder Probleme zu dokumentieren. Hiermit können Entscheidungen im Entwicklungsprozess festgehalten und Informationen weitergegeben werden. Annotationen können in Form von Texten, Grafiken, Audio- oder Video-Sequenzen festgehalten werden.
  • Collaboration über gemeinsames Online-Änderungen. Hier können Probleme nicht nur identifiziert und analysiert werden, sondern durch Modell-Änderungen sofort und gemeinschaftlich gelöst werden. Hierdurch werden Missverständnisse vermieden und Konstruktionsentscheidungen beschleunigt, weil die Lösung sofort erfolgt. Online-Änderungen bedeuten aber auch, dass Rollen innerhalb einer Sitzung dynamisch verteilt werden. Voraussetzung für eine effiziente Collaboration ist allerdings, dass die Prozessfähigkeit der bearbeiteten Modelle weiterhin erhalten bleibt, also die Daten weiterhin im nativen Format vorliegen. Im Hinblick auf die Produkthaftung muss eine Integration in die Verwaltungssysteme erfolgen
  • Collaboration über gemeinsames Online-Modellieren. Der nächste Schritt bei Collaboration umfasst den gesamten (Geometrie-) Modellierungsprozess. Alle CAD-Funktionalitäten stehen den Team-Mitgliedern in einer Collaboration Session zur Verfügung und erlauben ein gemeinsames, gleichzeitig verteiltes Modellieren. Vorsorge muss hier für Konflikte getroffen werden, wenn mehrere Personen gleichzeitig einen Bauraum beanspruchen oder ein Bauteil erstellen oder modifizieren. Hier muss ebenso eine enge Integration in die Verwaltungssysteme erfolgen.

Auf den Punkt gebracht. Mittlerweile bietet der Markt eine ganze Reihe von Collaboration-Systemen an. Allerdings finden sich damit auch verschiedenste Interpretationen des Begriffes „Collaboration“. In Anlehnung an eine hierarchische Anordnung der Collaboration Tools kann erst dann von echter Collaboration gesprochen werden, wenn auch die dazu notwendigen Funktionen zur Kooperation, Koordination und Kommunikation unterstützt oder die entsprechenden Werkzeuge integriert werden können. Collaboration geht allerdings weit über die Einführung eines Werkzeuges hinaus. Grundsätzlich bedingt Collaboration Änderungen im Verhalten aller beteiligten Menschen, in der Kommunikation und den Arbeitsabläufen. Mit neuen Technologien und Werkzeugen eröffnen sich neue Wege der Zusammenarbeit und Weitergabe von Informationen sowie neue Service- und Produktivitätspotenziale.

MICHAEL MUTH

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