Das Beste aus beiden Welten

Siemens PLM Software stellte im Frühjahr 2008 eine neue Modellierungstechnologie, “Synchronous Technology” genannt. Lesen Sie hierzu einen Auszug aus einen Beitrag, der in ECONOMIC ENGINEERING 5/2008 erschienen ist.

Das Beste aus beiden Welten

Unabhängig von der mathematischen Darstellung der 3D-Geometrie ist die Frage, wie die 3D-Geometrie mittels Benutzerführung zustande kommt. Hier scheiden sich seit mehr als 15 Jahren die Geister in zwei Lager: in die Fraktion der parametrischen Modellierung und in die der historienfreien Modellierung.

History-based Modeling

Beim historienbasierten oder auch parametrischen Ansatz, wie ihn Solid Edge bis V20 und NX bis zur Version 4 konsequent verfolgt haben, entstehen aus Modellierschritten sogenannte Features, intelligente Untereinheiten des
3D-Modells. Die Features werden in einem Feature-Baum hierarchisch gespeichert. Diese Vorgehensweise wurde in Vergangenheit oftmals unter dem
Begriff „capturing design intent“ vermarktet. Insbesondere die Variantenkonstruktion profitiert von der Methode, eine Konstruktion über Parameter zu steuern. Immer wieder in die Kritik geraten ist diese Methode, weil beim Aufbau eines 3D-Modells jeder Modellierschritt protokolliert wird und spätere Änderungen sehr aufwendig werden können. Schon kleinere Änderungen können dazu führen, dass der ganze Feature-Baum und somit das komplette Modell durchgerechnet werden müssen. Wurde das Modell unsauber aufgebaut, können die Nacharbeit und Korrekturen sehr zeitintensiv sein.

Explicit Modeling

Bei der historienfreien oder auch dynamischen Modellierung steht die Topologie und Geometrie des 3D-Modells im Vordergrund – anstatt Metawissen in Form von Operationen und Parametern. Der aktuelle Modellzustand ist die Basis für weitere Veränderungen. Insbesondere CoCreate hat mit SolidDesigner diese Modellierungsstrategie seit Beginn der 90er Jahre verfolgt.

Layer-Architektur mit Mehrwert

Synchronous Technology verbindet dagegen beide Modellierungsstrategien, indem es quasi jeweils die Rosinen herauspickt (siehe Grafik). Neben Parasolid spielen die Technologien von D-Cubed eine entscheidende Rolle. D-Cubed entwickelt und vertreibt eine Suite von Software-Modulen, unter anderem einen sogenannten Constraint Solver zur Steuerung beziehungsweise Erzeugung von Geometrie, die wiederum von vielen Systemanbietern lizenziert wurden, um sie in ihre Anwenderprogramme zu integrieren. Ähnlich wie Parasolid sind die Lösungen von D-Cubed eine Art Defacto-Standard der Branche. D-Cubed gehört seit Juni 2004 zu UGS beziehungsweise nun zu Siemens PLM Software.
Bei Synchronous Technology ermöglicht, abstrakt gesprochen, ein Application Layer, der oberhalb des Constraint Solvers von D-Cubed und Parasolid angesiedelt ist, die Verbindungen beider Modellierungstechniken. Der Anwender spürt dies während der Manipulation durch sogenannte Live Rules. Sie erlauben im Kontext des aktuellen Modellzustands sinnvolle Operationen. Symbolisiert wird dies zum Beispiel über ein Steuerrad in der Benutzerführung der neuen Version Solid Edge ST, die seit Herbst 2008 verfügbar ist. Ein Scan-Algorithmus im Hintergrund analysiert hierzu das vorliegende 3D-Modell, erkennt mathematische Ähnlichkeiten und Symmetrien. Die Entstehungsgeschichte einer importierten 3D-Geometrie ist dabei
ohne Belang. Ein Alleinstellungsmerkmal von Synchronous Technology ist die bidirektionale Änderungsmöglichkeit von Modellen. So kann man einfach 3D-Maße an Modellgeometrie hängen und das Modell durch Ändern eines Maßes ändern. Ändert man die gleiche Geometrie dynamisch mit Hilfe des Steuerrads, so wird das eben noch verwendete Steuermaß zum gesteuerten Maß und abgeändert. Hinzu kommt die Möglichkeit, sowohl Maße als auch Geometrie zu sperren und damit vor unbeabsichtigter Änderung zu schützen.
Diese neuen Konstruktionsmethoden funktionieren sowohl mit Solid-Edge-Modellen als auch mit beliebigen importierten Volumenkörpern aus anderen CAD-Systemen.
BERNHARD D. VALNION

Einstieg in die schlanke Produktentstehung

Lean Development macht ein Unternehmen nicht zum Nachahmer, sondern bestärkt es in seiner Individualität und dem Auffinden eigener Lösungen. Der folgende Beitrag vermittelt die ersten Schritte hierzu.

Das Beste aus beiden WeltenZunehmende Konzentrationstendenzen, steigende Rohstoffpreise, sinkende Kundenloyalität – allen Unterschieden im Detail zum Trotz lassen sich ähnliche ökonomische Megatrends in vielen Branchen beobachten. Die Folge ist letztlich die gleiche: der Preisdruck steigt. Auf die Herausforderungen reagieren Unternehmen oftmals mit kostenreduzierenden Lösungsansätzen: Standortverlagerung nach Osteuropa oder Fernost, Abspaltung der Nicht-Kerngeschäftsbereiche, Outsourcing von Leistungen, Gehaltsnullrunden und anderes mehr. Notwendig aber sind Handlungsstrategien, die Unternehmen wirtschaftlichen Erfolg jenseits des reinen Preiswettbewerbs ermöglichen. Denn es sind die neuen, heute noch nicht existierenden Märkte, die über die Zukunft eines Unternehmens entscheiden.

Die Lösung dieser Aufgabe verlangt neben unternehmensstrategischer Expertise insbesondere nach der schnellen, effizienten Produktentstehung. Daher gilt es, die Produktentstehung als Determinante für die Differenzierung von Unternehmen zu erkennen und zu steuern. Die Anwendung schlanker Prinzipien in der Produktion bringt enorme Erfolge mit sich. So sind dramatische und nachhaltige Steigerung von Qualität und Effizienz der Produktionsprozesse nachgewiesen.

Das Gedankenmodell des „Lean Thinking“ aber enthält einen Kanon von Prinzipien, der über die Produktion hinaus zur unternehmensweiten Erschließung von Effizienzpotenzialen nutzbar ist. Dabei sind es insbesondere die beiden Hauptmaximen dieses neuen Denkens, die eine Übertragung auf die Produktentstehung ermöglichen: maximiere den Wertstrom eliminiere die Verschwendung.

Charakteristisch für „Lean“ ist, dass es eine a priori formulierbare Ziellösung nicht gibt. Vielmehr geht es um eine stetige, immerwährende Identifizierung von Verschwendung, ihre sukzessive Beseitigung und das permanente Ausrichten am Wertstrom. Hierin liegt ein großer Vorteil verborgen: Lean macht das Unternehmen nicht zum Nachahmer, sondern bestärkt es in seiner Individualität und dem Finden von konkreten geeigneten Lösungen. Die Befähigung der Mitarbeiter, kontinuierlich Verschwendung zu identifizieren und zu beseitigen, und ihre Unterstützung durch das Management sind die Voraussetzungen für kontinuierliche Produktivitätssteigerungen.

Sehen lernen

Wie gelingt nun der Einstieg in dieses spannende Thema? Lean Development bedeutet zuallererst, sehen zu lernen – Sehen von Verschwendung in der Produktentstehung in all ihren charakteristischen Formen. Dies ist der Zweck der Lean-Analyse, die den Ist-Zustand der Entwicklung aus dem Blickwinkel von Wert und Verschwendung betrachtet und die Mitarbeiter für dieses Themenspektrum sensibilisiert. Von überragender Bedeutung in dieser Phase sind zwei zentrale Methoden des Lean Development, die im Folgenden kurz vorgestellt werden:

  • der Muda-Workshop
  • die Wertstromanalyse.

Während der Muda-Workshop darauf fokussiert ist, einzelne Fachabteilungen über alle ihre Aktivitäten hinweg auf Verschwendung (japanisch: „muda“) zu untersuchen, zielt die Wertstromanalyse auf die Erfassung des Status der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit. Hauptziel des Workshops ist es, auftretende Verschwendungstreiber zu identifizieren und Verschwendungspotenzial zu quantifizieren. Als Vorbereitung ist eine Vorauswahl von Prozessen zu treffen, in denen die betrachtete Abteilung aktiv ist. Hilfreich ist dabei die Nutzung eines generischen Prozessmodells der Produktentstehung, das Geschäftsprozesse in Haupt- und Teilprozesse unterteilt und jeweils deren typische Ergebnisse beschreibt. Auf Basis der Vorauswahl schätzen im eigentlichen Workshop die teilnehmenden Mitarbeiter der Abteilung die Ressourcen-Bindung ab und bringen diese Abschätzung in der Runde zu einem konsolidierten Ergebnis. Auf diese Weise lässt sich ein Ranking derjenigen Prozesse erzeugen, die den Großteil der Ressourcen der betrachteten Abteilung bindet.
Im nächsten Schritt werden alle Prozesse, die mehr als 70 Prozent der Ressourcenbindung verursachen, weiter betrachtet. Sie werden in der Folge auf Verschwendungstreiber hin analysiert. Das Unternehmensberatungshaus Agensis mit Sitz in München benutzt dabei eine Auswahl von sieben Verschwendungstreibern, die sich für die Erstanalyse in der Produktentstehung bewährt haben:

  • Warten
  • Überbearbeitung
  • Fehler/Unvollständigkeit
  • Transport/Lager
  • Neuerfinden
  • unverbindliche Zusammenarbeit
  • schwache IT-Unterstützung.

Die Teilnehmer der Analyse benennen für den betrachteten Prozess die für sie persönlich am stärksten wahrnehmbaren Verschwendungstreiber. Diese Ursachen werden erläutert und hinsichtlich ihrer Auswirkung diskutiert und bewertet. Dabei präzisieren und konsolidieren die Teilnehmer in der Gruppe die Nennungen und Bewertungen Einzelner. Diese Nennung, Diskussion und Bewertung ist für die Mitarbeiter eine wichtige, in der Regel gern wahrgenommene Möglichkeit, sich einzubringen.
Dabei motiviert das strukturierte Vorgehen durch seinen geschützten Rahmen die Benennung von Missständen und fördert das Erlernen des neuen Blickwinkels von Lean Development. Als Ergebnis eines solchen Workshops ergibt sich eine Fülle von konkreten, quantifizierten und geordneten Einzelverschwendungen, die zu einer Verschwendungslandkarte der untersuchten Organisationseinheit aggregiert werden kann.
Die Zusammenfassung mehrerer solcher Einzelkarten ergibt dann die von Agensis entwickelte sogenannte Muda Map der gesamten Produktentstehung, die detailliert und quantifiziert das Verschwendungsprofil der Gesamtorganisation darstellt. Genauso wichtig aber wie das konkrete Arbeitsergebnis ist die erfolgte Einführung der Mitarbeiter in das Thema Wert und Verschwendung – die Mitarbeiter sehen ihre Entwicklung mit anderen Augen!
Die Wertstromanalyse basiert auf einer bereits aus der Lean Production bekannten
Methode, dem sogenannten Value Stream Mapping (VSM). Dabei geht es um die Identifikation des Wertstroms und seiner Unterbrechungen, Verzögerungen oder Minderungen am Beispiel von abgeschlossenen Projekten und somit um die Analyse der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit und der darin gebundenen Verschwendung. Da mit Hilfe der Analyse am Beispielprojekt wesentliche Schlüsse gewonnen werden, ist eine repräsentative Auswahl von zu untersuchenden Projekten notwendig.
Zur Vorbereitung sind die ausschlaggebenden Projektrahmendaten, also insbesondere Muster- und Meilensteintermine sowie Kosten, bezüglich ihrer Werte aus der Erstplanung und den tatsächlichen Ist-Werten zu erheben. Weiterhin sind besondere Ereignisse, die zu nennenswerten Änderungen des Projektablaufes führen, zu erfassen und terminlich zuzuordnen. Aus dieser Vorbereitung ergibt sich für die als Workshop durchgeführte Projektanalyse eine Zeitachse, die für die tatsächliche Projektlaufzeit skaliert ist, auf der aber zunächst nur die Termine für die Erstplanung eingetragen werden. Zur Reduktion der Komplexität des Projektablaufs wird die Analyse zunächst auf die folgenden generischen Tätigkeitsbereiche abstrahiert, die in Form von sogenannten „Swim Lanes“ auf das großformatige Projekanalyse-Chart aufgebracht werden:
Tätigkeiten, die produktauslegenden Charakter haben
Tätigkeiten, die die physische Herstellung von Bestandteilen oder des vollständigen Produkts betreffen
Tätigkeiten, durch die Teile, Komponenten oder vollständig montierte Einheiten des Produkts erprobt und validiert werden
alle sonstigen relevanten Tätigkeiten, die durch in- und/oder externe Lieferanten erbracht werden und die innerhalb der vorgenannten Blöcke erfasst sind.
Dabei wird mit geeigneten Teilnehmern der Projektverlauf skizziert. Es entsteht eine übersichtliche, großflächige Visualisierung des Projektablaufs, aus der Verzögerungen gegenüber der Erstplanung sowie Warte- und Liegezeiten ersichtlich sind. Diese werden mit entsprechenden Symbolen kenntlich gemacht und bewertet. Daraufhin benennen die Teilnehmer die ihrer Meinung nach wichtigsten Ursachen für Abweichungen hinsichtlich Projektterminen und -kosten. Sie werden dargestellt, erläutert und in der Gruppe diskutiert.
Für die Hauptgründe wird eine Ursachen/Wirkungs-Kette mit Hilfe der ebenfalls aus der Lean Production bereits bekannten „5W-Methode“ erstellt. Das Ergebnis dieser Wertstromanalyse ist die auf die Hauptelemente des Wertstroms reduzierte Visualisierung des Projektablaufs und der damit verbundenen Verschwendungen, die den beteiligten Mitarbeitern eine völlig neue Betrachtung des abgelaufenen Projekts ermöglicht.
Die identifizierte Verschwendung zeigt den Mitarbeitern ganz konkret, wo die Verbesserungspotenziale in der abteilungsübergreifenden Arbeit liegen, und um wieviel besser das Unternehmen hier werden kann. Die Erfahrung zeigt, dass diese Workshops einen ganz wesentlichen Beitrag dazu leisten, Mitarbeiter zu sensibilisieren und auch zu mobilisieren. Mitarbeiter, die auf diese Art und Weise selbst Verschwendung identifiziert haben, brauchen für die Beseitigung dieser Verschwendung nicht noch einmal motiviert zu werden!
Wichtig ist, die Voraussetzungen für den erfolgreichen Einstieg ins Lean Development rechtzeitig zu schaffen. Die beiden skizzierten Methoden der Lean-Analyse erfüllen zwei wesentliche Funktionen. Einerseits liefern sie das Material, auf dessen Basis ein geeigneter Weg für die Umsetzung von Lean Development im Unternehmen identifiziert werden kann, andererseits bereiten sie die Mitarbeiter auf ihre zukünftige Aufgabe vor: die Durchführung eines selbstmotivierten und kontinuierlichen Prozesses, der Verschwendung identifiziert und eliminiert und so den Wertstrom optimiert. Damit dies gelingen kann, müssen Fähigkeit und Wille zum ständigen In-Frage-Stellen und Überprüfen von Bestehendem, die Offenheit für Neues sowie die Bereitschaft zur fortwährenden Veränderung vorliegen. Es ist dazu notwendig, ohne Tabus zu diskutieren und keine Alternative auszuschließen.

Emotionale Altlasten behindern

Dies freilich ist keineswegs selbstverständlich. Schnell können sich in die Diskussionen emotionale Altlasten zwischen Personen oder Abteilungen einschleichen. Diese dürfen weder negiert oder unterdrückt werden, noch zu einem rückwärtsgewandten, destruktiven und nicht mehr zielorientierten Vorgehen führen. Zu Beginn eines jeden Lean-Development-Projekts ist deshalb klarzustellen, dass es nicht um Schuld an gegenwärtigen nicht optimalen Zuständen geht, sondern ausschließlich um die Frage „Was können wir wie besser machen?“. Lean Development leistet auch bei der Überwindung solcher emotionalen Hemmnisse einen wesentlichen Beitrag, indem es klar macht, dass Verschwendung nicht die Schuld Einzelner ist, sondern in jeder Organisation als immanente Eigenschaft vorhanden ist. Die Frage nach der Schuld ist deshalb irrelevant, und wird nicht diskutiert. Anerkennung erhält der, der Verschwendung sieht und eliminieren kann.
Da die Mitarbeiter bei Lean Development intensiv in die Analysephase eingebunden werden, besteht ein hoher Bedarf an Feedback und Information. Neben inhaltlichen Diskussionen und Raum für Fragen ist auch das bewusste Aufgreifen von Ängsten der Mitarbeiter entscheidend. Ängste und Bedenken müssen ernst genommen und so weit wie möglich berücksichtigt werden. Dennoch muss klar sein, dass die grundsätzliche Richtung durch die Unternehmensleitung festgelegt ist. Kurzum: Die Mitarbeiter sollen trotz der mit den Veränderungen einhergehenden Unsicherheiten das Gefühl der Zuversicht und des Vertrauens besitzen. Erst wenn dies gelingt, entsteht eine glaubhafte Perspektive für die Zukunft.
Es ist die Aufgabe der Unternehmensleitung, die Notwendigkeit für Lean Development nachvollziehbar und glaubwürdig zu vermitteln und vorzuleben. Die Mitarbeiter müssen verstehen, dass es ihre Aufgabe ist, aktiv zu Verbesserungen beizutragen, sie zu initiieren und umzusetzen. Letztlich geht es um eine einfache, jedoch enorm wichtige Botschaft: „Wir wollen definierte Ziele erreichen und werden dafür grundsätzliche und nachhaltige Veränderungen herbeiführen.“

Fazit

Die genannten Analysemethoden des Lean Development ergeben eine Gesamtsicht auf die Verschwendungsstruktur der Produktentstehung, die in Form einer sogenannten Verschwendungslandkarte („Muda Map“) visualisiert wird. Sie speist sich aus einer Vielzahl von erhobenen und durch die Mitarbeiter quantifizierten Einzelverschwendungen. Auf dieser Basis können dann zur Umsetzung der schlanken Produktentstehung geeignete Maßnahmenblöcke erarbeitet und ihr Produktivitätspotenzial ausgewertet werden. Gemeinsam mit Management und Mitarbeitern werden die Maßnahmen dann priorisiert und ihrer Bearbeitung zugeführt.
OLIVER FIETH, THOMAS HUBER

 

Individuelle Mobilität als oberstes Gebot

Allianzen prägen in der Automobilindustrie das Bestreben, die Entwicklung von marktfähigen Technologien zur CO2-Reduzierung voranzutreiben. Doch geht es nicht nur um die serienreife Implementierung alternativer Antriebskonzepte, sondern auch um neue Strategien bei der Vermarktung. Die intensive Zusammenarbeit zwischen OEMs und ihren Systemlieferanten ist gefragt. Der Beitrag ist im Rahmen des Brachenspecials “Automotive” in der Februar/Märzausgabe (2/2008) von ECONOMIC ENGINEERING erschienen.

Das Beste aus beiden WeltenDie Diskussion um den Klima- und Umweltschutz, die endlichen Ressourcen und der Wunsch nach mehr Mobilität der Menschen stellen die Automobil-Industrie vor einen ganzen Katalog neuer Aufgaben. Diese Änderungen kommen nicht auf leisen Sohlen daher, sondern sind begleitet von Fanfaren, wie wir sie von Beethovens Fünfter her kennen. Das öffentliche Auge ist wachsam, der Gesetzgeber macht Druck und die verheißungsvollen Märkte in Fernost fordern Tempo. Die Europäische Union hat den Automobilherstellern eine konsequente CO2-Reduzierungsstrategie in ihr Pflichtenheft geschrieben, und Schwellenländer wie BRIC (Brasilien, Indien und China) wollen endlich das Billigauto.
Unverhofft freilich trifft es die Automobilindustrie nicht. „Wir leben in einer äußerst spannenden Zeit“, kommentierte Thomas Weber, Vorstand Konzernforschung und Entwicklung bei Mercedes-Benz Cars, in seiner Eröffnungsrede zur 15. Handelsblatt-Tagung am Frankfurter Flughafen diese Rahmenbedingungen souverän. Und Weber kennt sie nur allzu gut: Jedes Jahr kommen weltweit rund 60 Millionen Neufahrzeuge zu den gegenwärtig etwa 900 Millionen hinzu. Rein statistisch hat inzwischen jeder siebte Mensch ein Fahrzeug, und erstmals leben die Hälfte aller Menschen in Städten. Gute Zeiten also für den Hybrid? Kann doch gerade er im Stop-and-go-Verkehr seine Stärken ausspielen. Unter anderem, meint der Entwicklungschef. Weber stellte auf der Tagung die strategischen Stoßrichtungen seines Unternehmens in Hinsicht auf die Schadstoffreduktion vor, die da lauten:

  1. Steigerung der Effizienz der Fahrzeuge mit und ohne Hybridisierung
  2. Verwendung von hochwertigeren und alternativen Kraftstoffen
  3. emissionsfreier Betrieb durch Brennstoffzellen- und/oder Batteriebetrieb.

„Der konventionelle Verbrennungsmotor wird noch Jahrzehnte die dominante Antriebsquelle auf der Welt sein“, betonte der Daimler-Vorstand. Durch Motorsteuerungen, Einspritzungen und Abgasbehandlungen würde dieses Aggregat effizienter gemacht und Emissionen würden weiter reduziert. Dabei soll der Diesel so sauber wie ein Benziner werden. Entwicklungsschwerpunkte liegen im Bereich der Abgasnachbehandlung und der Abschaltung der Nebenaggregate bei Bedarf. Ein Beispiel ist die Bluetec-Technologie, die mit dem E 320 in 50 Staaten eingeführt wurde. Seit Dezember des vergangenen Jahres ist diese Technologie mit dem
E 300 auch in Europa eingeführt. Je nach Segment konnte Daimler mit diesen Fahrzeugtypen Marktanteile zwischen 20 und 30 Prozent erreichen. Die Bluetec-Technologie hat Euro-6-Potenzial, auch soll es demnächst einen S 300 Bluetec Hybrid geben.
Bei den Benzinern arbeiten die Stuttgarter am sogenannten Diesotto, der Diesel-, Benzin-, Bluetec- und Hybrid-Technologie miteinander verbindet. Mit dieser Fusionstechnik ist es möglich, den Verbrauch von Luxuswagen auf unter sechs Liter zu begrenzen. Ob freilich die Laufruhe eines Vierzylinders wie im F700 mit einem 1,8-l-Motor und 250 PS die Herzen der Schönen und Reichen tatsächlich höher schlagen lässt, muss sich erst noch zeigen.

Viele Wege, ein Ziel

„Der Hybrid ist nicht das Allheilmittel, sondern eine sinnvolle Ergänzung“, sagte Weber und gab damit zu verstehen, dass der Mix aus konventionellem Verbrennungsmotor und Elektroabtrieb auch für Daimler ein wichtiges Thema ist. Die Hybrid-Technologie werde in Form von Modulen angeboten, quasi als Ergänzung des Antriebsstrangs. Strategische Allianzen mit General Motors und BMW dienen dazu, den entsprechenden Bausatz zu entwickeln. 2009 sollen die ersten Fahrzeuge mit dieser Technologie auf dem Markt verfügbar sein.
Daimler setzt bei alternativen Kraftstoffen auf Biokraftstoffe der sogenannten 2. Generation. Sie sind politisch korrekt, da sie nicht im Konflikt mit der Nahrungsmittelkette stehen. Für Benziner gibt es die Optionen „Ethanol“ und „Öko-Ethanol“ und bei Diesel „Biodiesel“ und „Bio-to-Liquid-(BTL-)Diesel“. BTL hat eine bessere CO2-Bilanz als Biodiesel und eine dreimal so große Leistung pro angebauter Fläche. Auch hier weist Weber auf die Bedeutung von Kooperationen hin, um Innovationen voranzutreiben. Daimler unterhält hierbei eine Partnerschaft mit Shell und VW.
Um emissionsfreies Fahren mit Batterie und Brennstoffzelle zu ermöglichen, müssten zunächst neue Geschäftsfelder identifiziert und ausgebaut werden, so der Entwicklungschef weiter. Man benötige weitere Erkenntnisse über Batterien, auch wenn bereits heute klar ist, dass die Lithium-Ionen-Batterietechnologie großes Potenzial hat. Daimler hat 100 Testfahrzeuge im Einsatz, die mehr als 3,8 Millionen Testkilometer und 180 000 Betriebsstunden absolviert haben. Für 2010 kündigte Weber eine neue Generation von Brennstoffzellen an, die auch für die Serienproduktion tauge. Sie soll in die B-Klasse integriert werden. Dabei geht es um eine Verbesserung des Packings, der Kaltstartfähigkeit und der Leistungsfähigkeit.
Wegen der enormen Kosten der Brennstoffzellen müsste allerdings die bisher bekannte Wirtschaftlichkeitsrechnung neu aufgestellt werden, da diese Fahrzeuge auch dann noch fahren, wenn andere es schon lange nicht mehr können oder dürfen. Der Automobilkonzern hat mit der Automotive Fuel-Cell Corporation (AFCC) eine Tochtergesellschaft gegründet, die die Brennstoffzellen-Serienfertigung vorantreiben soll.
Die Kostenseite bei der Entwicklung CO2-armer Techniken betonte auch der Vorsitzende der Geschäftsleitung von Adam Opel, Hans Demant, in seiner Präsentation. Der Druck auf die Kosten sei immens: „Die Rentabilität und Profitabilität ist in der Autoindustrie immer schwerer umzusetzen“, sagte der Manager. Im Moment ist noch keine Lösung gefunden, die Kosten für Umweltauflagen und die Erwartungen an Renditen unter einen Hut zu bringen: „Natürlich kann man Technologie entwickeln, aber es muss auch Leute geben, die sich diese Technik leisten können.“ Demant bekräftigte die Aussage des Daimler-Vorstands, dass es nicht nur eine Technologie geben werde, sondern dass mehrere Antriebstechniken in Konkurrenz zueinander stünden. Am schnellsten könnte der CO2-Ausstoß reduziert werden, indem der bis zu 16 Jahre alte Fahrzeugbestand auf unseren Straßen durch moderne Fahrzeuge ersetzt würde. Die General-Motors-Tochter habe daher eine Verkaufsinitiative gestartet, mit der immerhin 20 000 Altfahrzeuge aus dem Verkehr gezogen werden konnten.
Opel ist auch bei Erdgas-Autos ganz vorne dabei. Gemeinsam mit Saab konnten im vergangenen Jahr 11 000 „Saab-Bio-Power“-Fahrzeuge auf Bioethanol-Basis 2006 verkauft werden. In Brasilien tanken heute nach Firmen-
angaben bereits 90 Prozent der von GM verkauften Autos Bioethanol.
Die Versuche mit der Brennstoffzelle sind erfolgreich angelaufen, allerdings ist der Kostenaufwand immer noch enorm. So gibt es den Opel Zafira I mit Brennstoffzellen-Betrieb, der von Ikea in Berlin eingesetzt wird. Das Fahrzeug ist genauso funktionstüchtig wie ein normaler Zafira und bietet den gleichen Platz. Der Haken ist allerdings der Preis: Allein die Produktionskosten belaufen sich auf 500 000 Euro.
Näher am Markt scheint da die Monocab-Studie „Opel Flextreme“ zu sein. Sie wurde auf der vergangenen IAA in Frankfurt vorgestellt. Flextreme ist ein Hybridauto und verfügt über einen Elektromotor, der die Vorderräder antreibt, und einen 1,3-l-Turbodiesel, der ausschließlich für die Stromgewinnung zuständig ist. Für kleinere Strecken kann die Batterie auch über Steckdose aufgeladen werden – so kann das Auto Distanzen bis zu 60 Kilometer zurücklegen. Bei größeren Entfernungen sorgt der vom Dieselmotor betriebene 53-kW-Generator für den Strom. Der Motor läuft stets im optimalen Drehzahlbereich zwischen 1 500 und 1 800 rpm. Nach dem europäischen Fahrzyklus ECE R101 sind 40 g/km CO2-Ausstoß zu erwarten.
In seiner vielbeachteten Rede ließ Keiji Sudo, Präsident von Toyota Deutschland, die „Lessons learnt“ seines Unternehmens mit dem meistverkauften Hybridauto der Welt, Toyota Prius, vor dem Auditorium Revue passieren. Von der ersten Generation des Fahrzeugtyps wurden insgesamt 120 000 verkauft, 4 000 in Europa und lediglich 1 200 in Deutschland. Die Markteinführung in Japan war 1997, in den USA drei Jahre später. Dabei hat sich gezeigt, dass Nachhaltigkeit und Ökologiebetrachtungen nicht kaufentscheidend seien. Styling, Image und Fahrleistungen seien weiterhin die Gründe, warum Autos gekauft würden. Die Verbindung von Nachhaltigkeit, Design und Fahrspaß konnte vor allem mit Prius der zweiten Generation erreicht werden und so auch zu einer ökonomischen Erfolgsgeschichte werden. Im Mai 2007 konnte Toyota das einmillionste Hybridfahrzeug ausliefern, wobei die Luxusmarke Lexus erheblichen Anteil daran hat. Wie all seine Vorredner wartet auch Sudo auf den Durchbruch bei der Batterie-Entwicklung.

Veränderung im Geschäftsmodell gefordert

Wolfgang Schneider, Vice-President bei Ford, sprach von der „Sinnkrise der Automobilindustrie“. Der promovierte Rechtswissenschaftler hielt als einziger einen politischen Vortrag auf der Konferenz. Die Welt konsumiert 2 Barrel für jedes Barrel, das entdeckt wird. „Erst wenn wir erkennen, dass wir ein Teil des Problems sind, sind wir auch ein Teil der Lösung“, so Schneider. „Wir glauben, dass die Brennstoffzelle Wasserstoff am effizientesten nutzt.“ Zugleich präsentierte Schneider einen ganzheitlichen Lebenszyklus-Ansatz: „Ford arbeitet an der Null-CO2-Fabrik.“ Damit will der Autobauer nicht nur bei der Entwicklung von emissionsarmen Fahrzeugen, sondern auch bei deren Herstellung zur Avantgarde gehören. Eine entsprechende Fabrik wird noch in diesem Jahr im belgischen Gent ihren Betrieb aufnehmen. Schneider akzeptiert, dass der Kunde für mehr Ökologie nicht mehr bezahlen will. Sein Fazit daher: „Wir müssen grün cool machen.“ Schließlich hat Toyota es geschafft, den Hybrid, „an den wir nicht geglaubt haben“, salonfähig zu machen und obendrein damit auch Geld zu verdienen.
Diese neuen Rahmenbedingungen für die Automobilindustrie bergen viele Unwägbarkeiten. Im Grunde genommen aber bedeuten sie auch großes Geschäftspotenzial, vielleicht weniger für die OEMs, doch für die Systempartner allemal. Es müssen neue Technologien entwickelt, implementiert und der daraus resultierende Mehrwert dem Markt klar kommuniziert werden – ein Kraftakt, der sich nur gemeinsam bewältigen lässt.
BERNHARD D. VALNION

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