Wohl dem, der sich frühzeitig mit den Anforderungen an den digitalen Produktpass auseinandersetzt. Diese 2024/1781-EU-Richtlinie wird ab 2027 verpflichtend umgesetzt werden. Florian Harzenetter, Global Advisor bei PTC, vertritt dazu die Interessen der PTC-Kunden in der IDTA, die sich dem Austausch von digitalen Zwillingen verschrieben hat. Interview.
Dr. Harzenetter, herzlichen Glückwunsch zur Berufung in den Vorstand der International Digital Twin Association! Warum engagiert sich PTC in diesem Forum?
Die IDTA ist eine Co-Gründung der beiden Organisationen VDMA und ZVEI. Diese Verbände vertreten führende Unternehmen, die zu meiner Doppelrolle als Global Advisor für die Branchen Industrials / Electronics & Hightech passen. Stellen Sie sich einen typischen Maschinenbauer vor: Für seine Produkte kauft er sehr viele Komponenten zu. Oft besteht mehr als die Hälfte des Maschinenwerts aus Zukaufteilen. Er hat die Möglichkeit, im Vorfeld eventuell einige Engineering-Informationen aus Bibliotheken herunterladen. Aber das entspricht ja nicht dem, was wir heute in einem digitalen Ökosystem an Daten benötigen. Denn jede Zukaufkomponente verschwindet in der Anonymität, just in dem Moment, in dem die Komponente gekauft wird. Auch der Komponentenhersteller weiß nicht, an welchen Stellen seine Komponenten verbaut werden und welche Funktionen sie übernehmen. Wenn ein Sensorhersteller zum Beispiel ein Update zu seinem Produkt herausgibt, hätte dies der Maschinenbauer gerne gewusst. Er kann es aber nicht mitbekommen, weil derartige Informationen entlang der Wertschöpfungskette nicht geordnet weiter gegeben werden können. Konkret fordert dies übrigens der Cyber Security Resiliance Act der Europäischen Union ab dem 11.09.2027 (1). Für einen derartigen konzertierten Datenaustausch steht die Verwaltungsschale, Asset Administration Shell (AAS). Deren Ausprägung für verschiedene Anwendungsfälle wird derzeit intensiv in der IDTA diskutiert.
Die Verwaltungsschale steht für ein Weitergeben von maschinenlesbaren Informationen. Um bei dem Beispiel zu bleiben: Hierzu stellt der Sensorhersteller ein Datenpaket für die jeweiligen Sensortypen zusammen. Der Maschinenbauer verbindet diese Informationen mit seinem Design. Wird der Sensor auf dem Shopfloor in die Maschine eingebaut, gehen die Typinformationen auf die Instanz (Maschine) über – ein spezifischer Sensor wird mit einer konkreten Seriennummer in Verbindung gebracht und damit kann der Kunde (OEM) den Maschinenbetreiber benachrichtigen, wenn beispielsweise ein Sicherheits-Update notwendig ist. Die AAS gewährleistet eine Rückverfolgbarkeit, was freilich im Einklang mit dem Geschäftsmodell des Maschinenbauers stehen muss. Dieser will ja nicht alle Daten an den Sensorhersteller preisgeben, sodass sich dieser direkt an den Maschinenbetreiber wenden könnte, um beispielsweise Software-Updates zu verkaufen. Auf der anderen Seite ermöglicht erst eine derartige Verlinkung die Datenweitergabe.
Diese datengetriebenen Geschäftsmodelle können also ein erhebliches Spannungsverhältnis erzeugen. Das ist sehr interessant!
Stimmt. Aber genau dies decke ich mit meiner Doppelrolle ab. Wir PLM-Anbieter sind genau diese Anlaufstelle für die Aggregation all dieser Informationen. Wir müssen all diese Daten interoperabel im PLM-System handhaben können, die möglicherweise später im digitalen Produktpass zusammengeführt werden.
Wie lässt sich ein digitaler Zwilling aus Sicht von PTC-Technologien kreieren und verwalten? Und der dann noch interoperabel ist?
Dazu sind unsere CAD- und PLM-Inhalte gefragt. Über Creo oder Onshape werden viele Merkmale beziehungsweise Komponenteneigenschaften definiert, die im Kontext der AAS der besonderen Aufmerksamkeit bedürfen. In Windchill werden viele Informationen zusammengeführt, auch aus anderen MCAD- und weiteren CAD-Lösungen für Elektrik und Elektronik. Windchill stellt sicher, dass die unterschiedlichen Embedded-Software-Stände zu den Konfigurationen mit eigengefertigten und zugekauften Komponenten zusammenpassen. Auf diese Weise wird aus Sicht der Informationslogistik ein voll funktionierendes Produkt repräsentiert. PLM hilft, Daten zu orchestrieren und diese ans ERP-System weiterzugegeben, unter anderem, um die Lagerbestände entsprechend zu steuern.
Auf welcher Seite findet der sogenannte Digital Thread statt, von dem PTC so gerne spricht?
Es geht ja beim digitalen Zwilling nicht darum, Daten hin und her zu kopieren. Vielmehr soll verstanden werden, in welchen Datenbanken die Daten abgelegt sind und wie diese zueinander in Beziehung stehen. Es soll nur einmal der Zugriff auf eine eindeutigen Datenquelle stattfinden. Dafür steht der Digital Thread.
Gibt es etwas Besonderes zu beachten, wenn man AAS-Konform Daten aus Windchill ausleiten will?
Verwaltungsschalen stellen Produkte dar, und zwar in Form von „Typen“ oder „Instanzen“. Komponenten werden normalerweise als Typenverwaltungsschalen beschrieben. Zum Beispiel nicht in Form eines physisches Produkts, sagen wir eines Pneumatikzylinder, sondern wie dieser grundsätzlich funktioniert und welche Kenngrößen er hat. Diese können wir übernehmen als „Parts“ in Windchill – bei SAP wären dies „Materialien“ – und reichern sie mit zusätzlichen Informationen an: Mit Attributen, die aus technischen Beschreibungen kommen und verknüpften sie mit einer Stückliste, die aus dem BOM-Submodell kommt. Hinzu kommen Änderungsobjekte aus dem Engineering Change Management , die durch einen Event Mechanismus ergänzt werden. Wird auf der Datenquelle, also vom AAS-Komponentenanbieter, eine Änderung durchgeführt, wird gleichzeitig ein Event erzeugt, der den OEM benachrichtigt. Auf der Windchill Seite wird nicht nur eine neue Version des Teils angelegt, sondern sie wird gleichzeitig in den Änderungsprozess eingebunden. Dieser findet somit teilautomatisiert statt wodurch nur noch ein Review stattfinden muss in dem zum Beispiel festgelegt wird, ab wann die Änderung des Komponentenherstellers ihre Gültigkeit haben soll, das sogenannte Effektivitätsdatum.
Wie sieht ein AAS-konformer Prozess in Hinsicht auf den Service aus?
Hierzu gibt es Anforderungen auf einer höheren Ebene: Bei Maschinen- und Anlagen soll die AAS die Rolle des Zwischenformats übernehmen können, um komplette Produkte zu beschreiben. Die Informationen kommen aus unterschiedlichen Systemen. Für die Serialisierung einer Maschine, also der Übergang vom Typ zur Instanz, werden zusätzlich Informationen benötigt, die nicht im PLM-System abgelegt sind. Sie kommen aus dem ERP-System, dem MES, aus Prüfberichten und anderes mehr. Im Klartext bedeutet dies, dass über die AAS eine gute Möglichkeit vorhanden ist, Daten aus unterschiedlichen Quellen strukturiert zusammenzuführen.
Derartige Informationen wird in unserem ServiceMax-Platform genutzt, um einen digitalen Service-Event zu initiieren. Somit ist ein durchgängiger Pfad vorhanden.
Wird dies alles im digitalen Produktpass dokumentiert?
Ja. Der digitale Produktpass verknüpft die Events über den Lebenszyklus eines Produkts. Der einzelne Anbieter wäre überfordert, müsste er all die Daten manuell zusammensuchen und verknüpfen. Beim Produktpass kann ein großer Teil durch die PLM-Daten aus der Produktdefinition und ein weiterer Teil durch die ERP-Systeme mit Angaben über Fertigungsaufträge zusammengeführt werden. Hierzu gehören auch die Daten der Vorlieferanten – Stichwort: Lieferkettenkontrollgesetz.
Was haben Sie sich persönlich vorgenommen?
Ich will helfen, das Konzept der Verwaltungsschale auch in den USA zu etablieren. PTC hat auch dort einen großen Marktanteil.
Viel Erfolg!
Fragen: Bernhard D. Valnion