Das Verständnis um den Begriff „PLM“ wächst

Auf dem diesjährigen Partner Leadership Summit von Siemens Digital Industries wurde BCT Technology AG (Willstätt) mit einem „Top Partner in Germany“ für 2020 ausgezeichnet. Thilo Gräser, Leiter Lösungsvertrieb beim Systemhaus, reflektiert dazu den aktuellen Stand des PLM-Markts.

Herr Gräser, herzlichen Glückwunsch zum Award! Welche herausragenden Leistungen von BCT wurden gewürdigt?
Die Auszeichnung hängt von verschiedenen Faktoren ab. Der messbare Anteil davon bezieht sich auf den erzielten Umsatz mit Siemens-Lösungen. Daneben gibt es aber auch weichere Faktoren, wie die Anzahl der zertifizierten Mitarbeiter. In insgesamt vier Bereichen sind wir als „Smart Experts“ anerkannt. Das bedeutet, dass unsere Mitarbeiter ihre besonderen Kenntnisse durch Zertifizierung unter Beweis gestellt haben. Sie engagieren sich in den Technologiebereichen NX, Teamcenter und Polarion. Hinzu kommen Zertifikate für den Maschinen- und Anlagenbau im Sinne besonderer Branchenexpertise. Hierfür müssen bestimmte Schulungen mit mündlichen Prüfungen durchlaufen werden. Im Klartext bedeutet dies, dass unsere Mitarbeiter nicht nur qualifiziert, sondern auch zertifiziert sind. Hinzu kommen weitere Kriterien wie Marketingaktivitäten und ein dediziertes Go-to-Market-Modell, das in unserem Businessplan verankert ist.

Das bedeutet, nicht nur Siemens fordert es, auch der Markt: Kompetenz und Implementierungserfahrung sind unabdingbar.
Absolut! Da gebe ich Ihnen recht. Unsere Kunden wollen ja nicht nur Software kaufen, sondern diese in Form einer Lösung kompetent und zielgerichtet implementieren und schließlich nutzen. Dazu braucht es Erfahrung, auf die wir bei BCT verweisen können.

Kann man davon ausgehen, dass der Markt den Begriff „PLM“ inzwischen verstanden hat?
„PLM“ ist ein umfangreicher Überbegriff, der im Markt ganz unterschiedlich verstanden wird. Jedes Unternehmen hat dafür eigene Definitionen, abhängig davon, was für die eigene Unternehmung wichtig ist. Ich denke, wir haben aber alle gemerkt, dass sich durch die SARS-CoV-2-Pandemie Dinge geändert haben. Wir sehen es beispielsweise an der Videokonferenz, die wir gerade führen. Videocalls haben früher natürlich auch schon stattgefunden, aber nicht in der Häufigkeit, wie sie es heute tun. Man suchte doch noch öfter das Gespräch vor Ort. Bedingt durch die Pandemie sitzen Unternehmen derzeit aber fast ausschließlich in Onlinemeetings zusammen, um Aspekte des Produktlebenszyklus zu diskutieren. Jeder befindet sich an einem anderen Ort, an seinem eigenen Rechner, und jeder möchte trotzdem beispielsweise Konstruktionsteile sehen und drehen können. Um produkttypische Informationen für die Kollegen zu visualisieren, ist die Vorbereitungszeit entsprechend hoch. Es wird also entscheidend, möglichst schnell an Informationen zu kommen und diese für andere zu plausibilisieren. Es muss mit einer Unmittelbarkeit auf die Daten zugegriffen werden können, was nur gelingt, wenn sie transparent abgelegt worden sind. Und jetzt kommt das Entscheidende im Kontext von PLM und Digitalisierung: Wenn diese Informationen auf viele Datenbanken oder Verzeichnisse verteilt sind, geht wertvolle Zeit verloren, in der man über die eigentliche Problemstellung reden könnte. Vielen unserer Kunden ist klar geworden, wie wichtig es ist, schnellen Zugriff auf Informationen zu haben, gerade wenn man sich an verschiedenen Standorten befindet. Und dabei ist die Visualisierung einer Aufgabenstellung – wir sprechen jetzt nicht von irgendwelchen Listeneinträgen und Produktnummern – wirklich sehr wichtig geworden.

Wie passt der digitale Zwilling in dieses Bild?
Auf dem Weg zum digitalen Zwilling sind einige Hürden zu nehmen. Das ist auch das, was wir unseren Kunden vermitteln: Digitalisierung funktioniert nicht auf Knopfdruck. Uns geht es um die Vermittlung einer Weitsicht dafür, was alles bei einer Strategie beachtet werden muss, die den digitalen Zwilling in der Zukunft möglich macht.

Das klingt nach Aufwand. Welchen Nutzen bringt der digitale Zwilling?
Der digitale Zwilling dient dem Frontloading – er versetzt uns in die Lage, möglichst viele Fragen und Annahmen in den frühen Phasen des Entwicklungsprozesses zu beantworten beziehungsweise zu prüfen, ob sie im konkreten Kontext ihre Gültigkeit haben – nach dem Motto: was würde passieren, wenn das Produkt tatsächlich schon existieren würde? Es geht darum, die Auswirkung von Entscheidungen durchzuspielen, zu einem Zeitpunkt, in dem noch wenige Kosten dafür anfallen.

Böse Zungen behaupten, der digitale Zwilling habe mit PLM nichts zu tun…
Ganz im Gegenteil! Ein wichtiger Aspekt des digitalen Zwillings findet sich in der passenden PLM-Strategie: Frontloading, unbedingtes Muss jeder PLM-Strategie, steht ja inzwischen auch für Systemsimulation, etwa für das frühzeitige Abprüfen der Steuerungssoftware in einer Maschine. Hier kommt übrigens unser Angebot rund um Polarion ins Spiel. Wenn Sie in der Lage sind, die drei Disziplinen Mechanik, Elektrik und Software zusammen als digitalen Zwilling zu simulieren – etwa um zu verstehen, welche Wirkkette ein bestimmter Sensor auslöst –, haben Sie viel erreicht! So kann geprüft werden, ob bereits vorhandene Embedded-Software-Bausteine auch für die neue Maschine passen.

Und wo stehen Ihre Kunden bei Systems Engineering in der Praxis?
Systems Engineering sollte als große Klammer um eine domänenübergreifende Produktentwicklung verstanden werden. Je mehr das System einer Maschine als Ganzes abgebildet ist, desto früher lassen sich treffsichere Entscheidungen hinsichtlich der Lösungsfindung fällen. Wir beobachten ein Umdenken bei unseren Kunden in Bezug auf Systems Engineering. Hier ist es möglich, mehr Geschwindigkeit und eine neue Form der Qualität in die Produktentwicklung zu bekommen. „Time to Market“ ist hier das Schlagwort. Unsere Kunden haben erkannt, dass es nicht reicht, zu versuchen, Mechanik durch Software abzubilden. Vielmehr muss das ganze System betrachtet werden. Da schließt sich insofern der Kreis, als es sehr schwierig wird, wenn die Informationen auf viele Datenablagen verteilt sind. Es geht ja darum, mit der Komplexität umzugehen – und nicht zu versuchen, sie zu eliminieren.

Wie lässt sich die Verknüpfung der einzelnen Datenquellen erreichen? Über Polarion im Sinne eines durchgängigen Anforderungsmanagements?
Ganz klar, die zunehmende Menge an Anforderungen lässt sich mit Polarion sehr gut beherrschen. Weitere Vorteile von Polarion sind, dass es leicht über Konnektoren in Teamcenter integriert werden kann und sehr benutzerfreundlich ist. Und damit sind wir wieder bei der Frage angelangt, ob ein PLM-System notwendig ist oder nicht – die Antwort lautet: ja, weil sich nur so die verschiedenen Domänen verknüpfen lassen.

Sind Sie in der Lage, zu erfassen, was Ihre Kunden wirklich benötigen?
Für die meisten unserer Kunden sind die angesprochenen Lösungsbausteine nicht neu; vielmehr plagt viele die Frage, wie dies alles für sie passend zusammengefügt werden könnte.
Hier kommt unsere Erfahrung ins Spiel. Schließlich werden wir oft nach der „idealen“ Einstiegsstrategie gefragt. Wir machen eine Ist-Aufnahme und bringen diese Erkenntnisse mit dem in Einklang, in welche Richtung sich der Kunde aufgrund der Anforderungen und Trends in dem von ihm bedienten Markt bewegen muss. Wir erarbeiten ein Lösungsszenario, das sich mit seinen Unternehmenszielen deckt. Am Ende sind es Erfahrungswerte, die durch Erfolge unserer Kunden bestätigt werden. Der individuelle Nutzen der Digitalisierung für unsere Kunden lässt sich nur dann herausarbeiten, wenn wir verstanden haben, in welchen Märkten sich unser Kunde bewegt und nach welchen Kriterien seine Produkte verkauft werden.

Treffen Sie auf den Digitalisierungsbeauftragten bei Ihren Kunden?
Inzwischen schon. Noch vor einigen Jahren war dies nicht der Fall. Heute ist diese wichtige Position durch einen Ansprechpartner bei den meisten unserer Kunden vertreten. Mit diesem Digitalisierungsbeauftragten haben wir in unseren aktuellen Projekten sehr gute Erfahrungen gemacht. Er hilft den Unternehmen bei der effizienten Gestaltung ihrer Digitalisierungsstrategie.

Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Bernhard D. Valnion

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