Studie: Kein ERP-Anwender gleicht dem anderen

Wie bei allen Investitionsvorhaben resultiert die Anwenderzufriedenheit bei ERP-Projekten im Kern aus der Erfüllung der an den Software-Einsatz gerichteten Erwartungen. Hier spielen also auf der einen Seite die Projektziele sowie die Randbedingungen eine Rolle, unter denen die Software eingesetzt werden soll (wie der Einsatzbereich der Software im Unternehmen, das Technologieumfeld oder die Qualifikation der Endanwender). Auf der anderen Seite steht dem das Erfüllen der Software der Anforderungen eines Unternehmens sowie die Qualität der Einführung und Betreuung, die der Software-Anbieter in enger Zusammenarbeit mit dem Software-Anwender durchführt, gegenüber.
Die ERP-Zufriedenheitsstudie zeigt, dass alle Unternehmen mit dem ERP-Einsatz auf den ersten Blick vor allem Effizienzziele in verfolgen: „Einfachere Geschäftsprozesse“, „geringere Aufwände“, „schnellerer Informationszugriff“ und/oder „bessere Qualität der Information“ werden am häufigsten als Zielsetzung genannt. Allerdings zeigen die Analysen auch, dass diese Zielsetzungen bei kleineren Unternehmen besonders stark auf die Kerngeschäftsprozesse gemünzt sind. Bei größeren Unternehmen spielen dagegen Überlegungen für einen effizienteren IT-Betrieb, etwa durch eine einheitlichere IT-Infrastruktur und Prozessstandards, eine überproportional große Rolle.
Angesichts dieser Zielsetzung ist es leicht nachvollziehbar, wenn bei den ausschlaggebenden Gründen für die Auswahl einer ERP-Lösung ebenfalls recht hohe Einigkeit zu bestehen scheint: Knapp 80 Prozent aller Teilnehmer geben hier eine „geeignete Funktionalität der Software“ als ausschlaggebend an. Das bedeutet, sie legen zunächst einmal großen Wert darauf, dass die gewählte Software-Lösung über die notwendige Funktionalität zur Unterstützung der Geschäftsprozesse verfügt. Zwischen 35 und 55 Prozent der Teilnehmer legen darüber hinaus besonderen Wert auf Eigenschaften, wie „Mittelstandseignung“, „Preis-/Leistungsverhältnis“, „Bedienerfreundlichkeit“, „Fachkompetenz des Anbieters“ und „Moderne, zukunftsweisende Technologie“.
Doch auch hier offenbart ein Blick ins Detail deutliche Unterschiede: So legen kleinere Unternehmen besonders großen Wert auf ein günstiges Preis-/Leistungsverhältnis und eine große Bedienerfreundlichkeit der Software. Mit anderen Worten, bei kleineren Unternehmen ist die Richtschnur der Effizienz auch ausschlaggebend für die ERP-Auswahl. Außerdem scheint bei kleineren Unternehmen die Auftragsvergabe bei ERP-Projekten offenbar besonders stark vom Auftreten des ERP-Anbieters abzuhängen, der darüber hinaus idealerweise in der Nähe des Anwenderunternehmens ansässig ist. Größere Unternehmen achten dagegen weitaus stärker als der Durchschnitt auf die Interoperabilität zu (vorhandenen) Technologieplattformen, die „Überlebensfähigkeit des ERP-Anbieters“ und – bei den kleineren kaum genannt – die „Marktführerschaft des ERP-Anbieters“. Auch ist bei größeren Unternehmen die „Funktionalität der ERP-Lösung“ noch stärker ausschlaggebend als bei kleineren Unternehmen. Dieses Entscheidungsverhalten offenbart, dass größere Unternehmen die Langfristigkeit von ERP-Entscheidungen stark betonen. Insbesondere legen sie großen Wert auf „Investitionssicherheit“ und „geringe Projektrisiken“, die vielfach sowohl mit einem umfassenden Funktionsspektrum der jeweiligen ERP-Lösung als auch mit einer starken Marktstellung des Software-Anbieters verbunden werden. Diesen Analysen zufolge ist die Unternehmensgröße ein ganz charakteristischer Parameter zur Unterscheidung von ERP-Installationen.

Jeder Topf sucht seinen Deckel

Der Blick in die ERP-Praxis zeigt jedoch eine noch größere Vielfalt an Anwender-Typen als die Statistik anhand der Unternehmensgröße oder auch der Branchenausrichtung Glauben schenkt. Dies legt zumindest ein Studium der kaufentscheidenden Gründe nahe, wenn man diesbezüglich die Anwender-Gruppierungen unterschiedlicher ERP-Lösungen vergleicht. Offenbar überzeugen die aufgeführten Software-Lösungen ihre Anwender aus sehr unterschiedlichen Gründen, denn kaum ein Präferenz-Profil gleicht dem anderen.
So fällt bei den Kunden von Abas auf, dass diese in der Investitionsentscheidung überdurchschnittlich viel Wert auf ein kompetentes Auftreten des Anbieters, Referenzen und die Projekteinführungsmethodik gelegt haben. Bei den Anwendern von AMS.ERP, einer auf die Einmal- beziehungsweise Projektfertigung zugeschnittenen Lösung, stand dagegen die Branchenausrichtung in Verbindung mit entsprechenden Referenzen bei der Auswahl überdurchschnittlich stark im Vordergrund.
Bei näherer Betrachtung finden sich in den Präferenzprofilen Entscheidungsmuster, aus denen sich typische Sichtweisen auf die ERP-Thematik ableiten lassen. Diese Sichtweisen sind geprägt durch:

  • „fachliche“ Orientierung
  • „Branchen“-Orientierung
  • „Technologie“-Orientierung
  • „Marken“-Orientierung
  • „finanzielle“ Orientierung.

Sie kommen in der Praxis oft auch als Mischform zum tragen. Bei der fachlich orientierten ERP-Auswahl stehen vor allem inhaltliche Aspekte wie die Funktionalität der Lösung sowie das kompetente Auftreten der ERP-Anbieter im Vordergrund. Entsprechende Präferenzprofile finden sich unter anderem bei den Anwendern von Abas, aber auch bei AlphaPlan, cd200/if2000, Foss, JobDispo ERP oder ProAlpha.
Bei der branchenorientierten ERP-Auswahl stehen die (funktionale) Branchenausprägung der ERP-Lösung, entsprechende Branchenreferenzen sowie oft auch die Branchenkompetenz der beteiligten ERP-Berater eine besonders große Rolle. Entsprechende Präferenzprofile finden sich nicht nur bei den Anwendern von AMS.ERP, sondern auch bei Infor ERP Blending, Infor ERP Xpert, Majesty und Sage Bäurer Wincarat.
Bei der technologisch geprägten ERP-Auswahl lassen sich zwei Varianten unterscheiden: In dem einen Fall liegt ein klarer Fokus auf einer modernen Software-Technologien in Verbindung mit einer modernen, ansprechenden Benutzeroberfläche. Derartige Aspekte waren beispielsweise für die Anwender von APplus, Microsoft Dynamics AX oder Semiramis überdurchschnittlich oft ausschlaggebend. Im anderen Fall dominiert die technologische Plattform der ERP-Lösung die Auswahlentscheidung. Diese Charakteristik findet sich unter anderem bei den vielen Anwendern, die viel Wert auf IBMs iSeries-Plattform legen. Bei den entsprechenden Software-Lösungen handelt es sich um die SoftM Business Suite, Oxaion (ehemals Frida), M3 (ehemals Movex) oder auch Infor ERP Xpert. Allerdings scheint die stark an der Technologieplattform orientierte ERP-Auswahl seltener zu werden. Die Mehrzahl der ehemals auf iSeries spezialisierten ERP-Hersteller bietet heute nämlich plattformunabhängige Lösungen an, die auch, aber nicht nur mit iSeries arbeiten.

Branding mit von der Partie

Völlig andere Schwerpunkte setzen Anwender, deren Auswahlentscheidung offenbar recht stark markenorientiert geprägt ist: In diesen Fällen legen Anwender überdurchschnittlich viel Wert auf eine starke Marktposition des ERP-Anbieters („Marktführerschaft“ und „Überlebensfähigkeit des Anbieters“) sowie eine große Verbreitung der ERP-Lösung. Fachlich-inhaltliche oder auch finanzielle Aspekte rücken dabei zum Teil in den Hintergrund. Diese Charakteristik findet sich nicht zuletzt bei den Anwendern von SAP ERP sowie bei Sage Office Line.
Last but not least finden sich in der Praxis auch ERP-Entscheidungen, die deutlich von finanziellen Erwägungen geprägt sind. Dabei legen die Anwender dann überdurchschnittlich viel Wert auf eine schlanke, zweckmäßige ERP-Lösung mit einem guten Kosten-/Nutzen-Verhältnis. Entsprechende Präferenzschwerpunkte weisen unter anderem die Anwender von Büroware oder auch von HS auf

Anmerkung der Online-Redaktion: Dieser Beitrag von Karsten Sontow ist in ECONOMIC ENGINEERING 1/2010 erschienen.

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