Kreativität – Elexier des Lebens

Der Ingenieur ein Genie? Ein Künstler? Oder nur ein Soldat, der gehorsam das tut, was ihm aufgetragen? Das THEMA der Print-Ausgabe 2/2019 von d1g1tal AGENDA lotet den Schaffensdrang der Ingenieure aus.

Dass der Kreativität derart das Wort geredet wird, ist ein Phänomen unserer Zeit. Man könnte sie als legitimen Nachfolger der Genialität bezeichnen, einem Begriff mit großer Vergangenheit. Das Genie und seine außerordentliche Begabung standen im 18. und 19. Jahrhundert für den aus eigenem Antrieb schaffenden Künstler, der die Natur nicht nur nachahmt, sondern „der vollendet, was die Natur selbst noch nicht vollenden konnte“. Gerade um die Dichterpersönlichkeit, die mit den Regeln der Aufklärung brach, entwickelte sich ein regelrechter Kult.
Das zu erschaffen, was die Natur nicht hinbekommt, ist auch die Absicht des Ingenieurs, obwohl er diesen Zusammenhang gewiss nicht so gerne hört. Denn dafür hat der Ingenieur selbst viel zu viel Respekt vor der Natur und ihren Lösungsstrategien. Dennoch, seine methodisch streng strukturierte Akribie und sein Streben nach technologischer Perfektion zielen darauf ab, Werke zu schaffen, die es mit der Natur aufnehmen können.
Man denke nur an die Begradigung des mäandrierenden Rheins durch Johann Gottfried Tulla und dessen Nachfolger, um den Fluss schiffbar zu machen. Da wurde massiv in die Natur eingegriffen und „gerade gebogen“, damit beim Transport von Gütern nicht zu viel Zeit vertrödelt wird.
Bei Anwendungen der Bionik indes geht der Ingenieur viel feinfühliger vor. Hier dient die Natur als Template sozusagen, und nicht als Brachland, dem man mit Schaufelradbagger und Betonmischmaschine zu Leibe rückt. Allerdings greift der Ingenieur bei der Ausarbeitung seiner von der Natur inspirierten Entwürfe dann doch wieder in die eigene Schatulle und denkt die Sache mit bewährten Methoden, Prozessen und Technologien zu Ende (2,3).

Ebenso wie bei der Genialität gibt es auch bei der Kreativität eine Reihe von Lesarten. So wird gerne angenommen, dass die kreative Betätigung um ihrer selbst willen geschieht und dem Spiel nahe kommt, viel näher zumindest als der harten Arbeit des beruflichen Alltags. Eine andere Auffassung findet sich im Themenkomplex „Innovationsmanagement“, das Kreativität voraussetzt. Hier wird das „Heureka!“ lediglich als Initialzündung eines darauffolgenden industrialisierten Ideenverarbeitungsprozesses betrachtet. Innovationsmanagement versteht sich als konsequente Weiterentwicklung des betrieblichen Vorschlagswesens und als Input-Lieferant des Produktentstehungsprozesses und des daraus resultierenden wirtschaftlichen Erfolgs.
Kreativität entsteht in einem Ablauf der „Neukombination von Informationen“, was derzeit eine anerkannte Definition ist. Der destruktive Charakter rührt daher, dass neuartige Gedanken, Produkte (freilich auch Kunstwerke) stets in Konkurrenz zu bereits Bestehendem treten: So hat die Fotografie die Landschaftsmalerei verdrängt und die digitale der analogen Fotografie den Todesstoß versetzt, der Mobilfunk in vielen Ländern einer neuen Generation von Festnetztelefonie erst gar keine Chance gegeben. Internet und Mobile Computing setzen Radio, Fernsehen, Verlagen und konventionellem Buchhandel gleichermaßen zu. Damit verbunden sind menschliche Schicksale, weil man in einer sterbenden Branche eben nicht mehr die ersehnte Karriere machen kann, sondern vielmehr zusehen muss, wie die Bühne für andere freigeräumt wird.

Einer, der sich intensiv mit dem Wesen von Kreativität auseinandergesetzt hat, ist Rainer M. Holm-Hadulla, von dem die zuvor zitierte Definition stammt. Der Gelehrte, Psychiater, Psychotherapeut und Psychoanalytiker schlägt ein Modell vor, das Kreativität, Begabung, Schaffensdrang, Persönlichkeit und Umfeld in unmittelbarer Beziehung zueinander sieht:

  • Begabung: Talente (Holm-Hadulla spricht von „Intelligenzen“) sind unterschiedlich ausgeprägt. Insgesamt spricht der Autor von multipler Intelligenz und unterscheidet dabei Formen wie sprachliche, logisch-mathematische oder interpersonale Intelligenz. Die beiden ersten Formen dürften bekannt sein, die letztere beschreibt das Potenzial, Gefühle, Wünsche und Handlungsweisen anderer schnell zu erfassen. Diese Intelligenzvariante ist eine Voraussetzung dafür, erfolgreich mit anderen zu kooperieren, also für Unternehmer oder für Politiker gleichermaßen von zentraler Bedeutung.
  • Schaffensdrang: Die Umsetzung von Ideen wird von der Motivation getrieben. Elementar ist hierbei die Neugier. Holm-Hadulla führt zur Erklärung die für unseren Geschmack recht diffusen Begriffe „Interesse“ und „Ehrgeiz“ ins Feld.
  • Um der Begabung reale Taten folgen zu lassen, müssen besondere Persönlichkeitsmerkmale vorhanden sein, wie die Fähigkeit zur Hingabe, Fantasie, Selbstvertrauen und Frustrationstoleranz.
  • Und natürlich hat auch die Umgebung entscheidenden Einfluss auf die Entfaltung von Kreativität: Eine naturwissenschaftlich begabte Persönlichkeit wird es nie zum anerkannten Wissenschaftler bringen, wenn sie zuvor nicht eine solide Ausbildung durchlaufen hat und später nicht in einem produktiven Forschungsumfeld arbeiten kann. Gleiches gilt für einen Fertigungsbetrieb, der eine Atmosphäre bereitstellen muss, in der kreative Techniker und Meister — auch der Chef selbst — ihren Schaffensdrang in Form der Ausgestaltung innovativer Produkte ausleben können.

Kreativität bedeutet in ihrem Kern natürlich auch, ausgetretene Wege zu verlassen. Aber was passiert, wenn man sich im Dschungel neuer Gedanken und längst verdrängter Gefühle wiederfindet – und vor allen Dingen: im Stich gelassen von der eigenen Erfahrung? Um die Tiefen des „kreativen Zerstörers“ zu ergründen, wollen wir eine Erkenntnisreise in seine Kindheit antreten. Und die Fahrkarte dafür haben wir bereits gelöst, weil wir uns für die Psychoanalyse als Erklärungsansatz entschieden haben. Tja mehr zu diesem spannende Thema in Ausgabe 2/2019 von d1g1tal AGENDA.

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